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Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland

Hungersnot

Hungerndes Kind in Athen, 1942. Private Sammlung Georgios Chandrinos

Hungerndes Kind in Athen, 1942. Private Sammlung Georgios Chandrinos

Athener durchsuchen die Mülltonnen nach Essen. Private Sammlung Iassonas Chandrinos

Athener durchsuchen die Mülltonnen nach Essen. Private Sammlung Iassonas Chandrinos

Die Hungersnot während der Besatzungszeit traf die Bevölkerung in Griechenland besonders hart. Wenige Monate nach dem deutschen Einmarsch in Athen (27. April 1941) war die Lebensmittelversorgung zusammengebrochen, was für den Großteil der Bevölkerung - und insbesondere die untersten Schichten der Gesellschaft, Kinder und Ältere - spürbare und bedrohliche Auswirkungen hatte. Tagebücher aus dieser Zeit dokumentieren das Stadtbild: „Auf der Straße sind Gespenster unterwegs“, erinnert sich Eleni Vlachou. „Menschen mit stumpfem Blick, herabhängenden Schultern, von der Kälte und vom Hunger gezeichnet. Manchmal sieht man sie auf dem Bürgersteig liegen. Sind sie tot oder lebendig?“ „Der Hunger rafft sie dahin”, berichtet Roger Millaix, damaliger Leiter des Institut Francais, entsetzt. „Von der Panepistimiou-Straße bis zum Institut habe ich zwei Kinder vor Erschöpfung zusammenbrechen sehen. Das eine 14-15 Jahre alt, das andere sieben oder acht. Es gibt kaum noch Särge für die Toten.“

Dem Historiker Polymeris Voglis zufolge war die Hungersnot ein komplexes Phänomen. „Der Krieg und die Seeblockade machten den Import von Nahrungsmitteln unmöglich und somit wurden die verfügbaren Mengen knapp.“ Griechenland verlor ab dem September 1939 wichtige Getreideimporte. Diese Situation spitzte sich mit dem Ausbruch des griechisch-italienischen Krieges Ende Oktober 1941 noch weiter zu. Die Einberufungen in das Militär führten 1940 zu einem weiteren Rückgang in der landwirtschaftlichen Produktion. „Große Mengen an landwirtschaftlichen Produkten, darunter Olivenöl, Obst und Tabak, wurden nach der Kapitulation von den italienischen und deutschen Soldaten beschlagnahmt oder zu lächerlichen Preisen für die Ausfuhr ins Deutsche Reich bestimmt.“ Hinzu kamen Missernten und die Abtretung der nördlichen Landesteile Griechenlands an Bulgarien im Zuge der deutschen Eroberung Griechenlands im Frühjahr 1941 und die Aufteilung des Landes in drei Besatzungszonen (deutsche, bulgarische und italienische Besatzungszonen), mit „Grenzen“ und eigenen Währungen, die eine massive Einschränkungen des Warenverkehrs zur Folge hatte. Außerdem wurde der Lebensmitteltransport von ländlichen Regionen in die Städte erschwert, weil das bestehende „unterentwickelte Transport- und Kommunikationsnetz durch die Requirierung von Fahrzeugen und Treibstoff und die Zerstörung des Straßen- und Schienennetzes stark beeinträchtigt wurde“.

Die rücksichtslosen Plünderungen und wirtschaftliche Ausbeutung des Landes durch die deutschen Besatzer führten zum endgültigen Zusammenbruch der Lebensmittelversorgung und der Wirtschaft. Die deutschen Behörden in Berlin, das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, kannte das Ausmaß der katastrophalen humanitären Lage in Griechenland. Es kümmerte sie allerdings wenig. Sie sprachen sich entschieden gegen eine Hilfe für Griechenland aus. „Nach Ansicht der Beamten (…) würden jegliche Lebensmittellieferungen an Griechenland die Versorgung Deutschlands gefährden“, wie M. Mazower schreibt. Man nahm das massenhafte Sterben in Kauf.

Die Hungersnot des Winters 1941-1942 hatte dramatische Auswirkungen in den großen Städten, besonders in Athen und Piräus, aber auch auf den kleinen, kargen Inseln. Am 9. Juni 1941 konnten die Athener mit Lebensmittelmarken Essen bekommen. Gleichzeitig begann der Schwarzmarkt zu florieren. Quellen belegen, dass der Großteil der Ernte nicht auf dem Markt, sondern bei Spekulanten und Zwischenhändlern landete. Der illegale Handel ersetzte fast gänzlich den regulären Markt und innerhalb nur weniger Monate waren kaum noch Nahrungsmittel erhältlich. Kirchen, Wohltätigkeitsorganisationen und das Rote Kreuz organisierten Suppenküchen, konnten die Not damit aber nur bedingt lindern.

In Athen starben im Winter 1941 – 1942 ungefähr 45.000 Menschen an den Folgen der Unterernährung. In Thessaloniki waren es im Zeitraum 1942-1943 etwa 5.000 – in Kombination mit einem Malariaausbruch.

Im kollektiven Gedächtnis der Griechen bleibt das Grauen der Hungersnot eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Besatzungszeit. Wie Roger Millaix berichtete: „Wie können wir diese kleinen tragischen Gesichter vergessen, abgemagert und freudlos, die nicht mehr zu lächeln wussten, denen die Haut an den Rippen klebte, denen die Wirbelsäule in der Bewegung ihres Skeletts hervortrat, die Schienbeine, die wie Schilfrohr geworden und so zerbrechlich waren, dass Kinder von acht Jahren wie alte Männer mit Stöcken gestützt oder wie Säuglinge in den Armen gehalten werden mussten“.

 

(letzte Aktualisierung: 28.04.2021)